Auf ein Wort / Lesepredigten
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4. So. vor der Passionszeit
Predigt zu Mk 4, 35ff
Es ist etwas mehr als 4 Jahre her, da begann der Aufstand gegen die römischen Besatzer.
Es ist seit dem viel Blut, unschuldiges Blut geflossen. Aus dem Aufstand für religiöse Freiheit und gegen Unterdrückung entstand ein Bürgerkrieg. Er endete mit dem Tod unzähliger. Die Stadt Jerusalem liegt in Trümmern. Der Tempel geschliffen. Nichts ist mehr zu sehen von der einzigen Pracht. Der Glanz der goldenen Kuppel ist verloschen.
Was kann uns überhaupt noch Hoffnung geben?
Wie soll ich es denen sagen, die den Tod Jesu, ihrem Lehrer, ihrem Meister etwas Neues abgewonnen haben, die die letzten Jahrzehnte zu neuem Mut gefunden haben und nun am Ende sind, wie soll ich ihnen überhaupt noch etwas ermutigendes sagen?
Ich selbst bin nicht sicher, ob sich Gott überhaupt noch für uns interessiert. Gott scheint zu schlafen. Irgendwo, weit weg von uns.
Hatte nicht auch er geschlafen. Mir ist das im Gedächtnis. Sie haben es erzählt. Es war, als ER ihnen, dem Volk Reden hielt. Er hielt viele Reden, eigentlich immer in Gleichnissen, die die meisten nicht verstanden. Ja, das ist wohl schon immer so, dass Menschen hören und sehen und doch nicht verstehen.
Und als er diese Reden hielt, bevorzugt auf einem Boot stehend zu den Leuten am Ufer, da meinte er: es ist genug. Auf zu neuen Ufern. Seine Freunde verstanden auch nicht gleich, was er meinte: Lasst uns zum anderen Ufer des Sees fahren, sagte er wohl zu ihnen.
Und sie werden noch verwunderter geschaut haben. Ans andere Ufer? Hinüber zu den Ungläubigen?
Und schließlich fuhren sie los. Nahmen ihn mit. Ja, so war ER. Er redete, meinte: so und so machen wir´s und alles weitere werden wir sehen. Und dann legte er sich hin. Am Heck des Bootes. Auf ein Kissen, wo immer er das gerade herhatte. Keiner von den anderen hatte jemals ein Kissen im Boot. Egal. Er schlief prompt ein und kümmerte sich nicht um die Worte, die er gesagt hatte.
Alles weitere werden wir sehen und sie sahen es: eine dunkle Wolke zog auf. Es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, so dass das Boot schon voll wurde.
Und er schlief auf seinem Kissen. Wer ist der, dass er so schlafen kann. Oder ist es ihm egal, was wird. Sind wir ihm egal, werden sie vielleicht gedacht haben.
Und sie dachten aber nicht lange nach, sondern rüttelten ich wach: Rabbi, fragst du nicht danach, das wir umkommen? Sind wir dir egal?
Er hat wohl nicht viel gesagt, nur das es plötzlich still wurde. Kein Sturm mehr, kein Donner, klein Blitz, keine Welle. Der See lag da wie in Blei gegossen. Alles stand still. Keine Vogelstimme, keine Bewegung. Alles still.
Es war so still, dass sie sich fürchteten. Und sie fragten sich, wer ER ist.
Das ist die ganze Geschichte. Ich muss sie aufschreiben. Die Christen in Jerusalem müssen sie lesen.
Ja, sie werden mich fragen, was die Geschichte soll. Und was ich denke, wer ER ist.
Ich werde noch mehr erzählen müssen.
Ich werde alles erzählen, alles aufschreiben, was ich über IHN weiß.
Etwa wie er einfach die Leute ansprach und aufforderte mit zu kommen, ihr Leben zu ändern. Und das sie auf sein Wort hin mitgingen. So überzeugend war ER. Und das Menschen aufstanden, Lähmungen überwanden, heil wurden. Das er sich im Tempel bewegte, als sei es sein zu Hause, dass er den Mächtigen ihre Grenzen aufzeigte und schließlich von ihnen ausgelöscht werden sollte. Und wie die Sache Jesu weiterging.
Ich werde es aber nicht zu Ende bringen. Das sollen andere tun. Und erst recht werde ich nicht aufschreiben, als wen die Christengemeinden ihn bekennen sollen. Das müssen sie selbst herausfinden.
Ja, liebe Gemeinde, so könnte der Evangelist Markus an das Aufschreiben seines Evangeliums heran gegangen sein. Das war etwa um das Jahr 70, vermutlich nach dem Ende des jüdischen Krieges.
Die Fragen, die er die Jünger stellen lässt, Fragen die in seinem Evangelium immer wieder auftauchen, beantwortet er nicht.
Oft steht am Ende eher Furcht, Ergriffenheit, gar Angst und Entsetzen bei den Frauen am offenen Grab.
Und es sind letztlich Fragen, die durch die Zeiten geblieben sind und immer wieder neu aufgeworfen werden.
Sie stellen sich gerade dann, wenn die Katastrophe über Menschen hereingebrochen ist, wenn alles in Trümmern liegt, das Leben in Schutt und Asche, wenn Menschen Verluste erleiden, oder plötzlich das Unglück über einen wie eine übergroße Welle schlägt und man zu ertrinken droht.
Schläft und schlummert Gott? Was ist mit Jesus?
Dieser Frage begegnet Markus mit einer einfachen Feststellung:
Die Jünger nehmen ihn mit, haben ihn bei sich.
Jesus sitz mit in ihrem Boot.
Nein, das ist kein Garant gegen Unwetter. Aber ER ist da. ER ist ansprechbar. Jederzeit kann er geweckt werden. Und ich kann ihm alle meine Klage vorbringen:
Klage über das Leid, den Schmerz, der mich plagt, weil ich einen geliebten Menschen verloren habe, weil plötzlich das Leben sinnlos scheint, weil die Aussicht auf Gesundheit, auf Freude, auf Frieden, auf Glücklichsein verloren scheint.
Klage über Lüge, Hass, Entwurzelung, Vertreibung, Heimatverlust, Krieg, Trümmer, Tod. All das muss ich beklagen immer wieder.
All das ist riesig, oft unerträglich.
Und der Glaube ist klein, winzig, aber er ist da.
Und an diesem Glauben möchte ich festhalten, egal wie hoch die Wellen sind. Ich will daran festhalten und vertrauen: Gott ist hellwach und bei mir.
So will ich Jesus im Boot haben.
Er ist gegenwärtig, auch wenn er entrückt scheint, unwirklich,
so unwirklich wie ein samtweiches Kissen in einem Fischerboot.
Das Jesus auf einem Kissen liegt, berichtet übrigens nur Markus, wenn auch Matthäus diese Episode ganz ähnlich erzählt.
das Kissen aber ist bei Markus fast zu übersehen und bedeutet doch genau die Unwirklichkeit der Situation. Die Wirklichkeit der bedrängten wird hier verbunden mit einer anderen Wirklichkeit.
Der schlafende Jesus auf dem Kissen ist Abbild des himmlischen Friedens, der Welt Gottes in der es keinen Sturm und keine tödlichen Wellen gibt. Diese Welt Gottes ist in unserer schon präsent, ein Stück, am Heck eines Bootes.
Mit diesem Bild will ich mich an Jesus halten. Mir hilft das, das Angst und Furcht nicht übermächtig werden.
In mir stärkt dieser Jesus meine Sehnsucht nach Halt, nach Geborgenheit.
Und in allen Irrungen und Wirren dieser Tage, in Ohnmacht und Furcht tut es auch unserer Kirche, unserer Gemeinde gut, diesen Jesus im Boot zu haben.
Wir werden nicht untergehen, wohl aber aufbrechen müssen zu neuen Ufern.
Und Sturm und Wind sollen mich, sollen uns nicht abhalten, beherzt die Segel zu setzen.